Rolf Müller
Lehrer Oberstufe Rothrist, hat lange gegen Atomenergie gekämpft
«Die Demonstrationen gegen das AKW Gösgen waren zwar nicht erfolgreich, sind mir aber trotzdem in guter Erinnerung. Ich glaube, sie haben schon zu einem Umdenken der Gesellschaft in der AKW-Frage beigetragen.»
Bilder: Sein Protest führte Rolf Müller bis auf den Meteo-Mast des Atomkraftwerks Gösgen. Quelle: Privatarchiv Rolf Müller
[Umblättern einer Seite hörbar]
Bereits Ende Bezirksschule habe ich politisch zu denken begonnen. Zu Beginn meiner Kantonsschulzeit gab es in Olten eine linksradikale Organisation, die Flugblätter verteilt hat – «Der Maulwurf». Das war mein Einstieg. So wurde ich Mitglied in der RML, der Revolutionär-Marxistischen Liga, einer aussenparlamentarischen Opposition.
Die beiden Demonstrationen gegen das AKW Gösgen sind mir recht gut in Erinnerung. Die Mobilisierung war erstaunlich – es kamen 5000-6000 Leute. Das war damals viel.
Wir wollten die Inbetriebnahme [des AKW] stoppen. Der erste Polizeieinsatz verlief, so meine Erinnerung, noch relativ glimpflich: Wir wurden mit Tränengas zurückgedrängt und in Ruhe gelassen. Bei der zweiten Demo griffen sie dann härter durch. Wir sahen Schützenpanzer und wussten, dass das Militär bereitsteht. Wir wurden aufgefordert, uns zurückzuziehen, aber wir blieben. Dann kam die Polizeitruppe mit Tränengas auf uns zu und da wurden dann, meiner Erinnerung nach, auch Gummigeschosse eingesetzt. Wir wichen bis nach Däniken zurück und waren dort in der Unterführung des Bahnhofs. Die Polizei setzte weiter Tränengas ein, sodass man das Gefühl hatte, man ersticke, und Todesangst hatte. Die Luft blieb einem weg, die Augen tränten, man sah nichts mehr. Einige sind über die Bahngleise geflüchtet, wo wenige Minuten später ein Schnellzug durchfuhr. Das führte dann auch zu Presse-Schlagzeilen.
Als mein Kollege und ich den Wetterturm besetzten – der war eingezäunt und ca. 200-300 Meter vom AKW weg – war unser Ziel, am frühen Morgen mit einer Leiter über den Zaun zu klettern. Wir wussten, dass dies einen Alarm auslösen würde. Wir mussten also baldmöglichst die 110 Meter an der vorhandenen Leiter hinaufklettern. Oben haben wir unser grosses Transparent aufgehängt als Protest gegen das AKW, während wir unten sahen, wie sich die Wachleute versammelten. Den Lift nach oben haben wir mit einer Karotte blockiert. Nachdem wir sicher 12 Stunden dort oben ausgeharrt hatten, war es einem hinzugezogenen Ingenieur gelungen, den Lift wieder in Betrieb zu setzen. Dieser bat uns, wieder nach unten zu kommen. Wir wurden der Kantonspolizei übergeben und es folgte ein Gerichtsverfahren.
Ich denke, dass heute viel mehr Leute der Atomkraft kritisch gegenüberstehen, hat sicher mit zwei grossen Ereignissen zu tun: Dem Unfall in Tschernobyl Ende der 80er Jahre und dem in Fukushima. Ich behaupte, die Anti-AKW-Demonstrationen haben schon auch dazu geführt, dass ein Umdenken stattfand. Heute zählt nicht nur der saubere Ausstoss, sondern auch die Frage nach dem Endlager für den Müll und was bei einem Unfall alles passieren könnte. Diese kritische Haltung wäre wohl nicht entstanden ohne die Schweizer Anti-AKW-Bewegung.
[Umblättern einer Seite hörbar]